Harald von Rappard

Expedition ins Weib-Reich

Anmerkungen eines Chauvies zum Auftritt der Chansonette Gabriele Schneiders in ihrem neuen Programm "Weibsbilder- Chansons der 20 er Jahre"

Kennen Sie Ihre Frau? Haben Sie jetzt vorschnell mit ja geantwortet, sind Sie der richtige Mann: Sie sollten sich die Weibsbilder der Gabriele Schneiders anschauen, und Sie werden schnell eines Besseren belehrt. Die Liebe, die Gute, die Verständnisvolle, die Hilfsbereite, die Mütterliche, die Wärmende - alles nur Lüge, Maske! Die Schneiders zeigt uns die andere Frau: die Kokette, die Verruchte, die Dämonische, die Satanische, die Sinnengierige, die Kastrierende - die Seite der Frau, die uns Männer ängstigt und zugleich fasziniert.

Schwarz ist das Ornat der Göttin Kali, schwarz die Bühne, dunkel das Haar, dunkel die Augen und das Rot der Lippen ein Korallenriff, an dem die Begehrlichkeiten der Männer zerscheitern.

Unendlich lebendig dagegen ihr Gesicht, das vor dem schwarzen Hintergrund die ganze Farbpalette der Weiblichkeit spiegelt: das Fromme, Züchtige, Heilige, Unschuldige, Moralisiernde mutiert unversehens zum Ironischen, Boshaften, Wollüstigen, Schamlosen, Lasterhaften und das alles in Szene gesetzt durch die Variationsbreite einer Stimme, die süchtig macht.

Die Weibsbilder der Gabriele Schneiders: was hält sie vom deutschen Mann, warum soll sie kein Verhältnis haben? Was tut die Dame von alter Schule, wenn ihr Mann in Monte Carlo weilt? Was will die langweilige Penelopeia schon gegen die Circe ausrichten? Ist das Weib eine Kleptomanin oder eher ein Wunderkind? Warum läßt sich die Dame so gern lebendig zersägen und warum steht ihr das Schwarz so gut, wenn sie wiedereinmal einen Mann unter die Erde gebracht hat? Was enthüllt uns eine Stiptease-Tänzerin? Was ist für uns Männer starker Tobak und wie dumm wir doch sind! Natürlich, deine Wange, dein Sex-Appeal oder sinds doch nur die Groschen, die den Ausschlag geben? Ist das Weib dämonisch oder frigide oder gar nur gleichgültig? Und wie reagieren wir Neandertaler darauf, insbesondere wenn sich das Weib schwarz bepinselt?...Die Weibsbilder von Tucholsky, Grünwald, Hagen, Hollaender, Flatow, Kästner etc aus den 20er Jahren und nur der 20 er Jahre?

Gewiß, die Qualität der Texte und die Musik der 20er Jahre erwecken nostalgische Sehnsüchte angesichts der gegenwärtigen deutschen Musikszene, die zwischen sentimentalem Kitsch, aggressivem Gebrüll und avantgardistischer Intellektualität schwankt. Aber ebenso bemerkenswert wie die Texte und die Musik ist deren Interpretation durch Gabriele Schneiders.

Musik und Text stehen für mich oft in einem problematischen Verhältnis zueinander. Entweder wird die Musik zum Vehikel des Wortes degradiert oder die Musik entfaltet sich auf Kosten des Textes. Ganz und gar anders verhält es sich bei der Vortragskunst von Gabriele Schneiders. Ihr Sprechgesang ist für mich eines der wenigen Beispiele, in denen Wort und Gesang sich gegenseitig ineinander abbilden. Der ironische Kommentar des Pianos und der trockene Humor des Mannes am Klavier, Wully Hoyer, verstärken die Wirkung des Vortrags auf kontrapunktische Weise.

Ich frage mich, was mich, was uns an der Schneiders fasziniert und wende meinen Blick - fast gegen meinen Willen -, um die Reaktion des Publikums zu beobachten. Ob Mann, ob Frau, die Suffragette und der Phallokrat lauschen hingerissen ihrem Vortrag und als sie in herzhaft erfrischender Frechheit singt: "Ach, Jott, wat sind die Männer dumm", geraten Feminist und Macho in die Symbiose gemeinsamen Schunkelns. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt, denke ich boshaft: hier klatscht die Feministin rasend Beifall für Weibsbilder, die fast ausnahmslos von Männern entworfen worden sind, und der Chauvi suhlt sich genüßlich in jener Nachtseite der Frau, die er bei seiner eigenen so schmerzlich vermißt - Männerphantasien sind es, die die Schneiders hier besingt und bedient - und das Pikante ist: sie merkt es noch nicht einmal - das Publikum sowieso nicht und ich auch erst im Nachhinein.

So gilt auch hier: die wahre Kunst übersteigt den Horizont des Künstlers. Was der Schneiders hier auf faszinierende Weise gelingt, ist sicherlich nicht das, was sie bewußt intendiert. Hier inszeniert sich die Frau in ihrer Ganzheit, insbesondere in dem, was sie im Alltag als Mutter, Gattin , Hausfrau und Lehrerin nicht ausleben kann. Das Wissen um diese nichtgelebte Seite ist nicht erlernbar und auch nicht das Ergebnis einer individuellen Sozialisation. Das archetypische Wissen, aus dem Gabriele Schneiders schöpft und ihre Kraft erhält, ist um Tausende Jahre älter als sie selbst, und so spüren auch wir die Wirkung ihrer Vortragskunst, ohne sie so recht zu begreifen.

"Kennst du e i n e Frau, so kennst du a l l e Frauen". So heißt es. Aber, so frage ich, welcher Mann kennt auch nur eine e i n z i g e Frau? Da ist es schon ein Trost, wenn die gekonnt sich selbst inszenierende Frau sich selbst ein Rätsel bleibt.