gegen den strich
poetische und unpoetische ergüsse




Liebe Inge, beloved mistress!

Ich schreibe - wie du siehst - auf dem Papier des Lusttempels "Sahara" - mitten im Herzen von Mahagonny, und an wen denke ich da? Natürlich!

" Sich in Geduld zu fassen..." ist für die Herren hier allerdings kein Gebot. Callgirls versprechen uns die schönsten wet dreams - was immer das auch heißen mag . Zur Begutachtung schicke ich dir gleich ein Exemplar mit. Versuchungen diesbezüglicher Art war ich letzten Endes nicht erlegen, weil mir in letzter Sekunde einfiel, was du als Frauenbeauftragte dazu sagen würdest. Sag jetzt sofort, daß dies zumindest ein heroischer Akt von mir war! Ich muß schon sagen, mir fehlen sämtliche Begriffe, um diese Sumpfblüte des Kapitalismus auch nur einigermaßen zu beschreiben.

Unser Mahagonny ist eine niedliche nostalgische Fiktion und wird von der Wirklichkeit auf eine grotesk-grandiose Weise übertroffen. Dieses puritanische Amerika - Nacktbaden am Strand unmöglich, geschweige denn ungehemmtes Vögeln auf den breiten Hotelbetten - the scarlett letter! Auge und Ohr des Nachbarn kontollieren: das amerikanische Triebtier, gefesselt in the public area - aber dann dieser Wüstenstaat Nevada, -nichts-, nur Wüste- und dort an der Grenze- jene eigentlich imaginäre Linie, die das Lineal zog, enden nicht nur California, Utah, Arizona und Idaho, es endet abrupt das puritanische Amerika, und es beginnt der Puff - ein ganzer Staat ein einziger Puff - das Paradies einer verklemmten Nation. Schon an der Grenze türmt sich die Sünde zur Woll-lust für Aug und Ohr.

Schlaraffia öffnet schrankenlos seine Arme in hemmungsloser Begierde. Der Durchschnittsamerikaner kommt wahrscheinlich gar nicht erst nach Las Vegas. Schon hier wird er abgezockt und ausgesaugt. Der Wahnsinn ist: er merkt es nicht einmal. Entleert und glücklich kehrt er zurück und träumt von Wiederkehr!

Nirgendwo auf der Welt zeigt sich Gott Mammon unmaskierter als hier und nirgendwo wird ihm mehr Tribut gezollt. Sein Geheimnis hier ist seine Lauterkeit. Er betrügt dich nicht. Er nimmt dir nicht dein Geld: du gibst es ihm- freudig- und er schenkt dir Zufriedenheit. Der Japaner hat grade seinen Gewinn verspielt. Sein Einsatz von 100 Dollar ist futsch. "Nur 100$!" sagt er und lacht. Der Croupier quittiert seinen Dank mit vollendeter Höflichkeit.

Mammon zeigt sich hier in vollendeter Großzügigkeit. Er erschlägt dich hier nicht wegen einer nicht bezahlten Storestange und einem unbezahlten Whiskey. Er schenkt dir den Whiskey, er speist dich mit Erlesenerem als Manna und läßt dich - fast unbezahlt - im feinsten Linnen träumen. Es ist unglaublich: jeder Sündenpalast bietet seinen Gästen erlesenste Appartements zu spottbilligen Preisen. Für 35$ nächtige ich in einer Suite- angenehm klimatisiert -draußen brüllende Hitze- nur der Campingplatz ist teurer! Für 5.75$ wird hier ein Buffet angeboten, dessen Vielfältigkeit und Reichhaltigkeit die Grenzen meiner Phantasie überschreiten.

Während der Geldadel allenthalben klammheimlich und offen die Klassenschranken von vor 1789 wiedererrichtet hat, ist das Gespenst des Kommunismus hier in Las Vegas zur Wirklichkeit geworden. Mammon kennt hier keine Klassen mehr. Unterschiedslos dient er allen. Auch der kleinste Prolet darf sich auf seinen Teppichen bewegen und wird zum König, und einzig für ihn entrollt sich die Pracht. So und nur so hat sich der Mensch des Mittelalters das Paradies vorgestellt. Hier ist der Ort, an dem Mammon alle bisherigen Götter entthront hat . Jehova führt nur noch ein klägliches Dasein. Goldverpackt sargt er wie der mumifizierte Tut-ench-Amon als Holy Bible in den Nachtschränkchen eines jeden Appartements - das verbreitetste und am wenigsten gelesene Buch in Las Vegas - die späte Rache des goldenen Kalbes.

Großartig Mammons Umgang mit der Geschichte. Erst hier wird sie zur lebendigen Gegenwart. Erst hier erlebst du die sieben Weltwunder der Antike. Du willst etwas über die Wunder der Pyramiden erfahren? Vergiß Gizeh, fahr nach Las Vegas! Und besuch die schwarz-opaque Pyramide! Die Tempel von Luxor sind nur noch der schwache Abglanz vergangener Zeiten: Hier dagegen werden sie zur sinnlich erlebten Fiktion. Das verborgene Innere der Pyramide - Jahrhunderte lang eine terra incognita der Phantasie - realiter nur ein paar asymmetrische Totenkammern - hier materialisiert sie sich: jedermann/frau darf die Reise in das Totenreich des Osiris antreten. Unter der sinnenfreudigen Stadt fließt der Strom der Unterwelt- ein richtiger Fluß! und du steigst in die Papyrusboote -wirklich!- und wie die seligen Pharaonen treibst du durch die düstere Totenwelt zum hellen Jenseits, in dem einarmige Banditen höflich auf deinen Tribut warten - wunderbar!!

Du willst wissen, wie es zur Zeit Cäsars in Rom wirklich ausgesehen hat? Vergiß das Forum Romanum! Fahr nach Las Vegas! Nur noch hier erlebst du den Cäsarenwahn in der Architektur parischen Marmors - den Cirkus maximus in der hellen Pracht des wiederauferstandenen Heidentums.

Und die hängenden Gärten der Semiramis, die sich noch in den maurischen Brunnen der Alhambra widerzuspiegeln wußten? Sie sind nur noch öde Wüste, wenn du nur einmal der Wassergärten von Las Vegas ansichtig wirst: flüssiges Licht, die magische Synthese der Antipoden Feuer und Wasser - in einem nicht enden wollenden Geschlechtsakt ineinander verwoben und Schönheit bis zur Schmerzgrenze zeugend.

"Was wollen Sie denn im Grand Canyon?" fragt mich kopfschüttelnd die Empfangsdame des Excalibur-Schlosses, in dem jeder Besucher als Lancelot gefeiert und zum Ritter der Tafelrunde erkoren wird. Ihre bezaubernden vollen Lippen öffnen sich zum Lächeln der Guinever, das jeden Mann zum Minnedienst verknechtet: "Las Vegas ist doch viel schöner!"

Und ich glaube es! Ich fange an zu glauben. Das ist was für dich, sage ich zum Heiden in mir und schüttle ihm freudig die Hand. Sein Bocksbein fängt an zu jucken. Von wegen Pan ist tot! Sämtliche Götter sind wieder auferstanden und treiben ihr Wesen. Nur noch homerisches Gelächter über Jehova, der wieder unsichtbar geworden ist und als armes Würstchen auf der Lade hockt - unbeachtet wie sein Sohn, der sich hier vergeblich am Kreuze quält. ER, der doch für uns all unsere Sünden auf sich nehmen wollte und nun bitter erkennen muß, daß niemand von uns ihm auch nur eine einzige unserer Sünden schenken will. Die wollen wir selbst genießen bis zur süßen Neige.

Hier bin ich Schwein, hier darf ich’s sein? Ach wo! So heult nur der Chor der alttestamentarischen Propheten, die sich noch an Jehova verschluckt haben, die Schlechtweggekommenen, die asketischen Priester, die an ihren mürben Schenkeln kranken und am dem, was dazwischen fault. Hier in Las Vegas atmen wir noch dir reine Luft der Alten Götter, die bis zum heutigen Tage unsere wahren Götter geblieben sind, eine Luft, die nicht mehr angekränkelt ist von der unschönen Blässe der Moral. Las Vegas ist das Mekka der westlichen Hemisphäre - unser ewiges Rom - urbis et orbis- und die jet-streams am Himmel markieren deutlich die Richtung, wohin die modernen Jakobspfade gehen.

Gen high noon - bemommen noch im Daunenpfuhl - drücke ich auf die Fernbedienung des TV. Die Bilder eines gewaltigen Hurricans durchfegen das Gemach. Ich höre und traue meinen Ohren kaum: "Zerstört ist Pensacola!"

Aber um Mahagonny macht der Hurrican bekanntlich einen Bogen..


trunken-benommene Katergrüße von Harald, Drei-Einigkeits-Moses