gegen den strich
poetische und unpoetische ergüsse




Norwegenfahrt 1967

Wir sind zu viert - nicht nur mit dem ausgerüstet, was man so schlechthin als existenzminimum anpreist, wenn es einem in die waldeinsamkeit verschlägt - allerlei genüsslichkeiten wären aufzuzählen wie whiskey, toback, guten tee und den großen vorteil einer nicht ganz unbewussten fehlkalkulation in punkto fressalien: man schleppt eben nicht gern, zumal man wir sind und für uns derartige gesichtspunkte in ihrer tiefe und höhe weitaus schwerwiegender, da konkret fühlbarer, sind als herrliche schluchten, verkrüppeltes baumgezücht und davon gallopierende rentierherden. Es erübrigt sich somit die frage, wer wir sind. Nicht dass wir das spiel zu spielen verstünden, aber man schlägt sich so recht und schlecht - vergnügsam- durch die gegend.

Gewiss - schnurrten noch anfangs die cameras und schmatzten die photoapparate fett und hungrig bis zur perversen aufdringlichkeit, so verengte sich zusehends der blick, wenn der weg sich anmaßte, die ebene zu verlassen. Dann rostete der hals zur gerichteten bewegungslosigkeit und der blick bekam etwas pferdhaft-stiernackiges, wenn die schritte in gleichmäßiger wut die steine zertraten. Plätscherte das gespräch vorhin noch lustig vor sich hin, so genügte jetzt ein wort, die gesichtszüge entgleisen zu lassen. Es war nunmehr einleuchtend, dass das panorama der landschaft ihrem kartencharakter entsprechend lediglich als dritte oder fünfte teilstrecke begriffen wurde.

Da gibt es z.b. einen von uns, der in jeder freien minute - das ist jene zeit zwischen dem gegessenhaben und dem nagenden zweifel des hungers - kurz in der zeit der angedeuteten sätte - die karte ausbreitet und in fein säuberlicher akrebie die landschaft in kohtenplätze, marschstecken und ruhetage zergliedert. Ihm bereite es ein außerordentliches vergnügen - so sagt er - den plan zu erfüllen, besonders dann, wenn sein ganzes sinnen und trachten dahingehe, ihn blindlings in der luft zu zerreißen. Er sagt es aber so liebevoll, dass ich nicht umhin kann, sein wissen um das menschlich-allzumenschliche zu bewundern.

Keiner klettert so die berge hoch wie er. Während ich mich nach dem motto "kultur ist anstrengung" den sumpfigen hang emporpeitsche und mich verbissen um die leichtigkeit des schwatzhaft-tänzelnden bemühe, glänzt sein hochrotes gesicht in dem selbstverständnis des schweißgebadeten. "Sei ruhig! Ich klotze!" sagt er und er sagt es so, dass ich unwillkürlich innehalte und mich errötend frage, warum ich es so nicht gesagt hätte.

Ich beobachte ihn, wenn er allmorgendlich sich in die kälte des sees wirft. Er tut es ohne viel aufhebens - still - ohne den publikumserheischenden blick und das lautstarke: ach, wie herrlich.

Der zweite im bunde- beinahe so groß wie sein rucksack- verschwindet vollends, wenn er die guitarre schultert. Zeigt er auch beim baden seine nacktheit in unbekümmerter jugendlichkeit und nicht ohne größe die potenz eines jung aufbrüllenden löwen, so erinnert der helle entenflaum an kinn und schläfen eher dem ältlich-weisen gesicht eines dagobert duck. Leute, die unsere dagobert sehr gerne mögen, beschreiben ihn als potthässlich, aber ungeheuer begabt und intelligent. Diejenigen, die hinter der erstgenannten unerhörten behauptung zu stehen gedenken, sollten sich einige szenen unseres filmes anschauen: ihr maul wird überschäumen wie die senke nach dem regen.

Dennoch: Dagobert ist nicht nur dagobert oder erst recht dagobert: er ist unser wandelndes gewissen, haus-kothenordnung und wehendes hortenbanner zugleich. Hart zucken wir unter den beißenden schlägen, wenn wir die ordnung der kohte missachten oder in den täglichen gebärden des teetrinkens, des essens, des frühzeitig aufstehens, des nicht allzuspät in die pofe kriechens, des rüstig dahinschreitens all zu nachlässig werden. Glücklich und zufrieden dagegen verdauen wir an den kohtenfeuern, wenn er mit einem ahh und genüsslichem saugen der pfeife die reihenfolge, das zueinander und die art der gebärden billigt.

Ein mann der ästhetik, sagen wir nicht ohne ehrfurcht, der pickel bekommt, wenn die erbse im schlafsack drückt. Kein mann von großen worten, tiefschwangerer symbolismen, transzendentaler gestik... unvergesslich die art, wie er die teeschalen säuberlichst auffüllt und sie uns einzeln herüberreicht.

Dann ist da noch so ein fahrtenhase - mümmelmann - so richtig pelzig um kinn und backen und nicht so pseudo-bärtig flaumbehaart wie wir. Ein anderer würde ihn wohl so beschreiben: alter klappriger sex-zylinder aus den zwanziger jahren, der langsam mit kochendem kühler, aber wunderbarerweise - alte deutsche wertarbeit- ohne abzuwürgen die hänge hochkriecht. Ich finde das aber zu materialistisch gesehen und denke lieber an rumpelstielzchen oder an omas scottchterrier sweethy, den zottigen, der ebenfalls das ungestüme verlangen erweckte, in seinem fell zu wühlen.

Zweifelsohne: sieht sich die treibende kulturspitze auch in kompass-willy und dagobert manifestiert, so besteht der träge tross in seinem triebgefälle nach unten zum behaglichen, zum bequemen und genüsslichen aus mir (wohl eher notgedrungen) und eben Sweethy, dem zottigen, der es in diesem punkte zumindest bis zur vollendeten meisterschaft gebracht hat.

"Krause Glucke" nennt mich Mikosch, der zottige, als ich meine pilzunkenntnisse in dem lapidaren satz zusammenfasse, tödlich sei nur der knollenblätterpilz und beginne, den haufen gesammelter pilze in speck und zwiebeln über dem feuer zu braten. Ein unerträglich verführerischer duft durchweht die kohte, noch unertäglicher mein genussvolles schmatzen beim munden der köstlichen pilze, von denen nun keiner mehr essen will. Mikosch sieht mein lächeln und ruft: " Ihr glaubt doch nicht im ernst, dass sich die Krause Glucke grinsend in den tod frisst!" und reißt mir die pfanne aus der hand und lässt sich die pilze schmecken. Jetzt verliert auch derwisch, unser kompass, die richtung und greift zur pfanne. "Aber das schwöre ich dir, Hansel, wenn mir der schaum vors maul tritt und ich in den letzten zuckungen liege, so bringe ich dich vorher noch eigenmächtig um!"

Nur Knifte, unsere Kohtenordnung, saugt asketisch an der pfeife und pickt in den zwiebeln und speck, die knollblättrig tödlichen umschiffend. So bleibt uns wenigstgens unser memoirenschreiber erhalten, der unser ableben akribisch protokolliert.