Anmerkung zum transzendentalphilosophischen Ansatz meiner Aufsätze

Transzendental als die Adjektivbildung von transzendieren(=überschreiten) hat in der Philosophiegeschichte unterschiedliche Bedeutung erlangt. Im Anschluss an Kant wird heute transzendental mit "die Bedingung der Möglichkeit von" übersetzt.

Ein griffiges und für mich paradigmatisches Bild von Transzendentalphilosophie hat Wittgenstein im Tractatus gegeben: das Auge ist die Bedingung der Möglichkeit des Gesichtsfeldes. Es kommt aber im Gesichtsfeld nicht vor. Den Zusammenhang zwischen Auge und Gesichtsfeld erkennt erst der Philosoph, der das empirische Gesichtsfeld transzendiert und von einer Metaebene aus das Auge als transzendentale Bedingung des Gesichtsfeldes erkennt. Transzendentalphilosophisches Denken ist also horizontüberschreitendes Denken.

Mein Transzendentaltheorem lautet:

Jede Gesellschaft und jede Kultur verfügt über Grundbedingungen ihrer Existenz, die sie nicht durchschaut, weil sie im Horizont der jeweiligen Kultur nicht vorkommen.

Erkennbar sind sie erst in metakultureller Perspektive, wenn der zu betrachtende Horizont überschritten, d.h. transzendiert wird. Die kulturellen Bedingungen, die dann erst sichtbar werden, nenne ich deshalb die transzendentalen Bedingungen der jeweiligen Kultur. Die semantische Bedeutung von "transzendental" ist wie bei Kant: "die Möglichkeit der Bedingung von".

Mein Transzendentalbegriff deckt sich allerdings nicht ganz mit dem Kantischen. Transzendentale Erkenntnis ist bei Kant immer vor aller Empirie, bei mir dagegen nur vor dem empirischen Horizont der jeweiligen Kultur . Deren transzendentale Bedingungen sind empirisch sichtbar aus dem Horizont einer anderen Kultur oder aus dem Horizont der historisch weiterentwickelten Kultur.

Da der metakulturelle Standort des Philosophen immer nur vor dem Hintergrund der eigenen selbst unverstandenen Kultur bezogen werden kann, sind die gefundenen transzendentalen Bedingungen der betrachteten Kultur nicht unabhängig vom Metahorizont des betrachtenden Philosophen. Dennoch sind die gefundenen bzw. entdeckten transzendentalen Bedingungen keine subjektiven Erfindungen des Betrachtenden. Sie werden im Metahorizont empirisch objektiviert und sind -allerdings nur hier -objektive Erkenntnisgegenstände. In anderen Metahorizonten mögen andere transzendentale Bedingungen der betrachteten Kultur objektiviert werden. Der epistemologische Gewinn des Transzendentalansatzes ist, dass aus jedem Metahorizont die betrachtete Kultur mehr verstanden wird als aus dem eigenen Horizont.

Im kulturrelativistischen Ansatz von Feyerabend wäre dieser Gedanke nicht denkbar, eben sowenig im Konstruktivismus, der sich an das Kriterium der Viabilität hält und den Wahrheitsanspruch aufgegeben hat. Der Vergleich der beiden Epistemologien dürfte jeden Erkenntnistheoretiker interessieren.

Eine besondere Form von Transzendentalerkenntnis ist die Ideologiekritik. Hier wird der kulturelle Überbau einer Gesellschaft in Bezug zu seiner ökonomischen Basis betrachtet und zwar nicht aus der Perspektive einer anderen Kultur, sondern aus dem Metahorizont der eigenen Kultur, der den kulturellen Überbau übersteigt, um dessen transzendentale Bedingungen empirisch sichtbar zu machen.