Erkenntnistheorie (Epistemologie)

Die Frage Kants: Was kann der Mensch wissen?

Wissen

aus der Erfahrung

empirisch
a posteriori
(nachher, aus der Erfahrung stammend, lat.: "vom Späteren")
aposteriorisch erfahrungsgemäß
deskriptiv (beschreibend)

Empirische Aussagen können wahr oder falsch sein (=kontingente Aussagen). Sie werden durch die Empirie bestätigt (=Verifikation) oder widerlegt (=Falsifikation).

aus der Überlegung

metaphysisch
a priori
(von vornherein)

apriorisch das allein aus dem Denken Stammende
praeskriptiv/normativ (vorschreibend)

Nichtempirische Aussagen sind als grammatische oder logische Sätze a priori wahr, als metaphysische Aussagen können sie sinnvoll oder sinnlos sein. Sie lassen sich durch Empirie weder bestätigen noch widerlegen.
Metaphysische Aussagen sind verkappte normative Aussagen. Sie beschreiben nicht, wie die Wirklichkeit ist, sondern wie sie gesehen werden soll. Normative Aussagen sind weder wahr noch falsch. Sie definieren erst, was als wahr und falsch gelten soll.
Kriterium einer empirischen Aussage ist ihre Falsifikationsmöglichkeit.

Empirische Wissenschaften (Biologie, Chemie, Physik, Sozialwissenschaften, Sprachwissenschaften, Ethnologie etc.)
Kriterium einer metaphysischen Aussage ist ihre Nicht-Falsifizierbarkeit

Nicht-empirische Wissenschaften (Theologie, Philosophie, u.a. Ethik, Anthropologie, Epistemologie, Geschichts-und Staatsphilosophie, Wissenschaftstheorie, Mathematik)

Theorienbildung
Hypothesenbildung durch empirische Verallgemeinerung


induktive Methode: der Schluß vom Besonderen/ von Einzelfällen auf das Allgemeine

Empirische Verallgemeinerung durch Induktion:
"Bisher hat der Mensch noch nicht fliegen können, also wird er auch in Zukunft nicht fliegen können."
"Alle Schwäne sind weiß" aus:
"Bisher habe ich nur weiße Schwäne gesehen"
Die Hypothese ist falsch, weil es in Australien schwarze Schwäne gibt.
Theorienbildung
durch spekulative Vernunft
durch Transzendentalreflexion

deduktive Methode: der Schluß vom Allgemeinen auf das Besondere/ den Einzelfall

Deduktiver Beweis:

"Der Mensch kann nicht fliegen." aus: "Der Mensch ist kein Vogel" und " Nur Vögel können fliegen"

Im obigen Beispiel ist die Prämisse "Nur Vögel können fliegen" falsch.

Erklärungstyp: Kausalerklärung

Suche nach Gründen =Ursachen, die das zu erklärende Ereignis bewirkt haben und zeitlich vor dem Ereignis liegen

Eine Kausalerklärung erklärt, wie etwas passieren konnte


Erklärungstyp: teleologische Erklärung

Suche nach Gründen = Zielen einer Handlung, die die Handlung begründen und verständlich machen und am Ende oder in der Handlung selbst liegen.
Eine teleologische Erkläung erklärt, warum es zu dieser Handlung kommt (Sinnfrage)
Ursache           Wirkung
Handlung           Grund/Ziel


empirische Aussagen:
nichtempirische Aussagen
(Definition, Norm, grammatischer Satz, metaphysischer Satz)


Alltag: "Es regnet."

"Peter ist ein Junggeselle."

Biologie: "Der Mensch und der Affe haben einen gemeinsamen Vorfahren."

Astronomie: "Der Jupiter hat vier Monde."

Physik: "Auf der Zugspitze kocht das Wasser schon bei 90 C."

Architektur: "Die Winkelsumme dieses barocken Zimmers ist 400 °."

Geschichte: "Jesus von Nazareth ist in der Zeit von Augustus geboren." "Maria und Joseph sind die Eltern von Jesus."

Definition: "Regen ist ein Niederschlag von Wassertropfen."

Grammatischer Satz: "Alle Junggesellen sind unverheiratet."

Anthropologie: "Der Mensch ist ein Mörderaffe." "Der Mensch ist von Natur aus gut." "Der Mensch ist von Natur aus böse."

Definition: "Der Jupiter ist ein Planet der Sonne."

Definition: "Wasser kocht bei 100 C°."

Geometrie: "Die Winkelsumme eines Rechtecks ist 360 °."

Theologie: "Jesus ist Gottes Sohn." "Jesus hat keinen leiblichen Vater." "Maria ist auch nach der Geburt von Jesus noch Jungfrau."



Aufgabe: Finde heraus, welche Aussagen a) wahr sein können b) falsch sind c) a priori wahr sind d) normativ wertend sind


ACHTUNG

Es gibt eine Reihe von Sätzen, die als empirische Aussagen erscheinen, in Wahrheit aber metaphysischer Natur sind, weil sie
  1. nicht mehr empirisch überprüft werden, nicht mehr Gegenstand der Empirie sind
  2. auch bei abweichender Empirie nicht mehr geändert werden. (Selbst wenn das Wasser bei 94° kochen sollte, wird die Aussage "Wasser kocht bei 100° " nicht bezweifelt. Statt dessen werden Zusatzbedingungen angenommen, warum im konkreten Fall das Wasser nicht bei 100° kocht < z.B. Luftdruck, Zusammensetzung des Wasser>.)
Diese der Empirie nicht mehr zugänglichen Sätze haben eine quasi transzendentalen Status. Sie begründen die empirische Erfahrung, ohne selbst empirisch zu sein ( ähnlich wie das Urmeter in Paris nicht 1 m lang ist, sondern die Länge des Meters erst definiert).



Eine verkappte metaphysische Aussage - also eine nur scheinbar empirische Aussage - erkennt man daran, dass sich ihre Gegenteil in unserem Weltbild nicht mehr vorstellen läßt. Dazu gehören Aussagen wie:

"Die Erde ist eine Kugel."
"Der Mensch hat ein Gehirn im Schädel."
"Maschinen können nicht denken."

Die metaphysischen Sätze sagen etwas über unsere Grammatik aus oder über unser Weltbild, sie sagen aber nichts über die Wirklichkeit aus. Die metaphysischen Sätze spiegeln also unsere Sichtweise und nicht die Realität.

Metaphysik ist nicht bloß Gegenstand der Philosophie. Alle unsere alltäglichen Grundüberzeugungen fußen auf metaphysischen Sätzen, die aus der Empirie nicht begründet werden. So z.B. ist die Aussage "Juden sind Ungeziefer" im faschistischen Weltbild ein grammatischer Satz mit politisch fatalen Folgen.

Aufgabe der Philosophie ist es, die alltägliche Metaphysik unserer Handlungsweisen herauszubekommen. (Eine ganz und gar nicht leichte Aufgabe.)


Übungsaufgaben:
  1. Ein Lager leerer Benzinfässer fliegt in die Luft. Erkläre, warum die Grammatik der eigentliche Grund des Unglücksfalls ist.
  2. Die Eingeborenen Kubas haben die sich der Küste nähernden Schiffe des Kolumbus nicht wahrgenommen, obwohl sie deutlich sichtbar 300 Meter vom Strand entfernt vor Anker gingen. Erkläre warum.
  3. Ein Volksstamm geht von der metaphysischen Grundüberzeugung aus, dass man sich im Traum immer auf dem Mond befindet, der Ort aller Träume also der Mond ist.
    Erkläre, warum der Eingeborene die Kritik des Europäers, man könne nur mit Raketen den Mond erreichen, der zudem lebensfeindlich und ohne Atmosphäre sei, zurückweist.
  4. Stell Dir vor, der Satz: Maschinen können nicht denken., sei ein kontingenter und kein grammatischer Satz.
    Begründe, warum es dann logisch möglich wäre, dass man eine Maschine antrifft, die denken kann. (Lösungshilfe: Überlege Dir, ob die Aussage "Maschinen können nicht denken" auf induktiven oder deduktiven Weg bewiesen wird.)
  5. Was würdest Du sagen, wenn sich bei einer Untersuchung Deines Schädels herausstellen würde, dass er völlig leer ist?
    Begründe, warum dieses Untersuchungsergebnis einen Menschen aus dem 12. Jhdt. nicht erstaunt hätte.



Zur Unterscheidung von Metaphysik und Transzendentalphilosophie

Wissenschaft


Empirie
Wissen aus Erfahrung
Metaphysik
Wissen aus Überlegung

Transzendentalphilosophie
(Theorie über die Erfahrung,
Metatheorie= Theorie über Theorie)
Transzendenzphilosophie
( Spekulation über
Dinge jenseits der Erfahrung)



Zur Unterscheidung von transzendent und transzendental

Beide Adjektive leiten sich ab vom lateinischen transcendere = überschreiten.

transzendent: Unter diesem Begriff werden alle Erkenntnisse zusammengefasst, die jenseits unserer Erfahrung durch die spekulative Vernunft erzeugt werden (Existenz Gottes, die Unsterbliche der Seele, das Leben nach dem Tod, also insbesondere theologische Fragestellungen des Mittelalters und der Antike).

Kant hat in seiner Kritik der reinen Vernunft diesen Bereich der Metaphysik aus der Philosophie ausklammern wollen. Begründung: Die spekulative Vernunft kann außerhalb der Erfahrung nicht nur x-beliebige Aussagen ohne Wahrheitswert generieren, sondern darüber hinaus logisch konsistente Aussagen, die einander widersprechen. So kann die Vernunft logisch beweisen, dass es Gott geben muß und nicht geben kann (Antinomien der Vernunft).

Hegel hat dagegen den Widerspruch zum Prinzip des Denkens erklärt und die spekulative Vernunft zum Kern philosophischen Denkens gemacht. In seinem philosophischen System versucht er, die Gesamtheit aller möglichen Denkbestimmungen mit Hilfe der Dialektik zu erzeugen und auseinander abzuleiten.

transzendental: Dieser Begriff wird im Anschluß an Kant mit "die Bedingung der Möglichkeit von" übersetzt. Jede Erkenntnis ist transzendental, die die Bedingung der Möglichkeit eines Erkenntnisgegenstands, z. B. die Erkenntnis selbst, zu erfassen sucht. Diese Erkenntnis ist metaphysisch, weil sie nicht aus der Empirie abgeleitet werden kann. Sie ist aber nicht transzendent, weil sie auf Erfahrung bezogen bleibt.

So ist das Auge als Bedingung der Möglichkeit des Sehfeldes dessen notwendige Voraussetzung, aber kein Gegenstand des Sehfeldes selbst. Das Auge ist demnach eine transzendentale Bedingung des Sehfeldes.



Transzendentalerkenntnis

Philosoph
transzendentaler Standpunkt
Auge des Betrachters
transzendentale Bedingung des Sehfeldes
Sehfeld
empirische Wahrnehmung



Transzendentalerkenntnis und empirische Erkenntnis liegen nicht auf derselben Ebene. Das Sehfeld muß transzendiert (=überschritten) werden, damit das Auge als dessen Bedingung erkannt werden kann.

Jede Metatheorie als Theorie über Theorie ist transzendental.

So sind die Bedingungen der Möglichkeit von Wissenschaft nicht Gegenstand der empirischen Wissenschaften selbst. Wissenschaftstheorie ist deshalb Transzendentaltheorie empirischer Wissenschaft.

Die Geschichte der Wissenschaftstheorie zeigt im übrigen, dass der Versuch der Empiristen, Wissenschaft streng auf kontingente Aussagen zu beschränken, scheitert. Jede wissenschaftliche Theorie beruht auf metaphysischen Grundannahmen, die nicht mehr Gegenstand der Reflexion der Wissenschaftler sind. Der Versuch des Kritischen Rationalismus, Metaphysik als unwissenschaftliches Denken aus der Wissenschaft ausschließen zu wollen, führt deshalb zu keinem Erfolg. Die Geschichte der Wissenschaft zeigt, dass sich keine empirische Theorie durch widersprechende Erfahrung hat beirren lassen. Die alte Theorie wird eher durch Zusatzhypothesen erweitert und dadurch komplizierter, als dass sie durch neue Theorien mit anderen metaphysischen Grundannahmen ersetzt wird.(Vergleiche die Diskussion Merkurperihel).

Die metaphysischen Grundannahmen sind in der Regel zu stark, als dass sie durch gegenteilige Empirie über Bord geworfen werden (Vergleiche dazu die Kritik an Poppers Falsifikationskriterium für wissenschaftliche Theorien und seine falsche Kritik am Marxismus).