Der Streit zwischen dem Common Sense und der nachkopernikanischen Erkenntnisposition

Antwort auf meinen kritischen Kritiker Rube zur Epistemologie der Matrix

Jede erkenntnistheoretische Position, sei es die vorkopernikanische des Common Sense, die von Berkeley oder die Kants, hat eine Metaphysik zur Grundlage, die selbst nicht weiter begründbar ist. Der Streit zwischen den erkenntnistheoretischen Positionen ist deshalb unabschließbar. Entscheidend ist hier, zu welcher Metaphysik sich der Epistemologe entschließt. Ich werde dich also nicht davon überzeugen können, dass der Raum eine apriorische Anschauungsform ist, solange du die Metaphysik der Common-Sense-Ansicht teilst.

Das erklärte Ziel des modernen Empirismus ist es, alle metaphysischen Aussagen als unwissenschaftliche aus der Philosophie zu entfernen. Mit diesem Programm ist er allerdings gescheitert. Er hat einsehen müssen, dass auch seine erkenntnistheoretische Position nicht empirisch begründbar ist und somit auf metaphysischen Vorentscheidungen beruht.

Es lohnt sich also nicht, wie du schon richtig siehst, die eine Metaphysik gegen die andere auszuspielen.

Das Katzenbeispiel überzeugt dich also nicht, weil du der Katze eh jede Erkenntnis absprichst. Mir ging es auch nicht um das Erkenntnisvermögen der Katze, das so beschränkt sein mag wie immer, mir ging es darum zu zeigen, dass der Erfahrungsraum der Katze wie des Menschen nicht von der sogenannten Natur der Dingwelt abhängt. Ich sehe aber ein, dass ich dir das nicht habe zeigen können, so lange du von der metaphysischen Voraussetzung ausgehst, dass die Räumlichkeit ein Attribut der Dingwelt ist.

Die Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis von Räumlichkeit ist im erkennenden Subjekt vor aller Erfahrung angelegt. Damit könnte ich leben.

Du willst also sagen, die Katze könne die Räumlichkeit der Dingwelt nicht erkennen, weil ihr Erkenntnisvermögen dafür nicht ausreicht.

Deine Verständnisschwierigkeit liegt in der Tat darin begründet, dass du Räumlichkeit und Realität nicht voneinander trennst. Ich zitiere deshalb die redigierte Fassung meines Punktes 12, der vielleicht mehr Licht in die Sache bringen könnte:

Dein argument, die scheinwelt der matrix sei in wirklichkeit gar keine räumliche, weil keine reale, unterstellt fälschlicherweise, dass räumlichkeit nur in der realität existieren kann. Jede betrachtung eines gemäldes, eines fotos, eines films zeigt dir, dass die räumlichkeit im kopf des betrachters entsteht, denn auf der zweidimensionalen vorlage ist sie nicht vorhanden.

Neo wenigstens im verstöpselten Zustand erlebt seine Welt als eine räumliche. Die Räumlichkeit der Dinge entsteht in seinem Kopf und ist sicherlich nicht auf der Matrixebene der manipulierten oder vorgegaukelten Sinnesdaten zu finden.

Wenn du nun mit recht der scheinwelt der matrix die realität absprichst, so gilt dieses argument nur für die, die außerhalb der matrix stehen und von dort aus den raum der scheinwelt der matrix verändern können. Es gilt aber nicht für die, die in der welt der matrix leben und von der matrix gar nichts wissen. Mit hilfe descartes kommen sie nicht aus ihrer scheinwelt heraus.

Ich habe oben gesagt, in der Scheinwelt der Matrix könne Neo gerade nicht reflektieren. Es handelt sich ja schlicht um Software. Dass diese Welt im Raum existieren soll, kann ich nicht nachvollziehen. Auch diejenigen, die außerhalb der Matrix stehen und in sie eingreifen können, sehen ja nur "einen Film" - und können ihn ggf. verändern. Oder????? Vielleicht haben wir aber auch schon wieder den Punkt erreicht, wo wir aneinander vorbei reden . . .

Dein Einwand, Neo, bzw. Mr. Anderson, sei als nichtreale Person nur ein binärer Schemen und damit zu einer eigenständigen Reflexion gar nicht fähig, stimmt so nicht. Auch wenn dem realen, verstöpselten Neo als Mr.Anderson nur eine Scheinwelt vorgegaukelt wird, so behält er doch alle Freiheitsgrade, sich in dieser Scheinwelt zu bewegen, einschließlich der Freiheit, sich gegen diese Welt aufzulehnen. Er ist also kein determiniertes Softwareprogramm und in seinen zukünftigen Handlungen nicht durch die Matrix festgelegt. Andernfalls wäre es ja nicht verständlich, warum die Matrix Wächter installiert, die die Kontrolle über die "Träumenden" zu gewinnen suchen und die Unbotmäßigen zu eliminieren trachten.

Selbst in seiner Scheinexistenz unterscheidet sich Neo nicht von unserer Existenz in Bezug auf die Denk- und Handlungsfreiheit. Nur deshalb stellt sich ja die Frage, ob Neo mit Hilfe der Methode Descartes aus seiner Scheinwelt kommen kann, bzw. ob wir mit Hilfe Descartes beweisen können, dass wir in keiner Scheinwelt leben. Ich meine, gezeigt zu haben, dass wir beide Fragen mit nein beantworten müssen, auch wenn ich in Bezug auf uns nicht glaube, dass wir in einer Scheinwelt leben (aber das hat Neo als Mr. Anderson auch nicht geglaubt).

D'accord! Keine Scheinwelt! Aber ich verstehe es immer noch nicht: Hat Descartes das möglicherweise nicht selbst so gesehen? Alles unterliegt bei ihm dem Diktat des Zweifels / Zweifelns - und in dieser radikalen Tour wird sich das Ich seiner selbst gewiss (- "seines Selbst bewusst" ist psychologisch-philosophisch ja möglicherweise etwas völlig Anderes!) Ist dies nicht die zentrale Aussage bei 'Descartes?

In der Tat ist sie dies. Aber mit seiner Selbstvergewisserung und seinem Gottesbeweis glaubt Descartes fälschlicherweise bewiesen zu haben, in keiner Scheinwelt zu leben. Träumte er nämlich wie Neo als verstöpselte Larve, in einer realen Welt zu leben, würde er mit Hilfe seines methodischen Zweifels zum selben Resultat gekommen sein und nicht begreifen, dass er ein falsches Selbstbild hat und sein bewiesener Gott eine Teufelsmaschine ist.

Descartes Illusion ist es, mit seinem Ich- und Gottesbeweis eine Aussage über eine von uns unabhängige Realität gemacht zu haben. Die Realität, über die wir einzig und allein eine Aussage machen können, ist auf dem Globus unseres Selbst verortet. So sind ICH und GOTT archetypische Bilder unseres SELBST, die das SELBST immer wieder generiert und die in unser Bewusstsein hineinragen, ohne ganz vom Bewusstsein erfasst werden zu können. Da sie immer nur am Rande des Bewusstseins auftauchen (als Limeswerte der Moral- und Geschlechtsachse), entsteht für das Bewusstsein der Eindruck, sie seien außerhalb des Bewusstseins in einer von uns unabhängigen Realität verortet.

ICH und GOTT existieren nicht in der Realität, sondern in unserem grammatischen System. Es mag andere grammatische Systeme geben, in denen ICH und GOTT gar nicht vorkommen. Die Jungsche Kugel des Selbst ist also gleichzeitig auch eine Aussage über unser grammatisches System.

Die Metaphysik des Abendlandes verdankt ihr Entstehen einem tiefgreifenden Missverständnis ihrer eigenen Grammatik - so Wittgenstein. Der Metaphysiker kommt nur deshalb zur falschen Hypostasierung von Entitäten wie ICH und GOTT, weil er die Wörter unserer Sprache abweichend vom Sprachgebrauch verwendet. So stellt sich die Frage nach dem Wesen und der Substanz des ICH erst dann, wenn davon abgesehen wird, wie das Personalpronomen in der Sprache verwendet wird und wie es im Sprachspiel funktioniert. Dass das ICH eine eigene Essenz habe, entsteht also nur durch das grammatische Missverständnis, dass jedes Wort unserer Sprache einen Gegenstand der Wirklichkeit bezeichne. So funktionieren aber nicht alle Wörter in unserer Sprache.

Man kann die Wittgensteinsche Metaphysikkritik auch umformulieren oder noch anders fassen: jedes grammatische System erzeugt mit Notwendigkeit einen metaphysischen Überbau und unser metaphysischer Überbau lässt sich mit Vollständigkeit auf der Kugel des Selbst verorten.

Interessanterweise kommt die gegenwärtige Bewusstseinsforschung zu einem ähnlichen Ergebnis. Das ICH, so Metzinger, ist ein metaphysisches Konstrukt, auf der neuronalen Wirklichkeitsebene sei es nicht anzutreffen. Überraschend ist für mich nur, dass ein Philosoph wie Metzinger auf der neuronalen Ebene nach dem ICH zu fahnden beginnt, denn auf dieser Ebene hat es noch nie gelegen.

Descartes Grammatik unterscheidet sich nicht von der Neos. Also haben beide denselben metaphysischen Überbau, der indes nichts über die Realität an sich aussagen kann.

Die logische Konsistenz der Matrix-Welt der Gebrüder Wochowski lässt allerdings zu wünschen übrig - da gebe ich dir völlig recht. Es gibt eine ganze Reihe von Ungereimtheiten. So ist z.B. gar nicht verstehbar, warum die verstöpselten Menschenlarven ein Selbstbildnis von sich entwerfen, das ihren Leibern gleicht, die sie nie wahrgenommen haben. Logisch ist das nicht, dafür aber dramaturgisch geboten, um den Zusammenhang zwischen Scheinleib und realen Leib darstellen zu können. Den 2. und 3. Teil der Matrix habe ich gar nicht erst in meine Betrachtung mit einbezogen. Sie sind - wie du richtig sagst - ein Flop ohne philosophischen Wert.

Jetzt zur graphischen Darstellung des SELBST im Bild der Kugel:

Wo zum Teufel (hoppla!) ist "das cartesische Koordinatenkreuz"? (Es gibt ja sogar ein dreidimensionales Koordinatensystem, hab ich mich belehrern lassen. Ich habe ja zugegeben, dass ich nicht weiß, was der Nullpunkt ist in deiner Darstellung. Warum machst du nicht kenntlich, wo der Nullpunkt liegt? (Ein Kreuz habe ich zusätzlich errichtet, indem ich eine Linie von der Anima zum Animus gezogen habe und eine weitere senkrecht dazu von Gott zum Teufel. Aber Anima und Animus sind ja keine cartesischen "Koordinaten".)

Unter dem cartesischen Koordniatensystem verstehe ich die waagerechte X-Achse, die von der senkrechten Y-Achse geschnitten wird. Der Schnittpunkt beider Achsen ist der Nullpunkt. In meinem Koordinatenssystem setze ich die Y-Achse mit der Moralachse gleich, mit einer skalaren Dimension, die das Gute und das Böse in Abstufungen zu erfassen sucht (von null in positiven Schritten zu Gott und in negativen schritten zum Teufel). Die X-Achse dagegen ist bei mir die Geschlechtsachse, ebenso eine skalare Dimension, die das Weibliche(die Anima) und das Männliche (den Animus) um so stärker erfasst, je weiter beide sich vom Nullpnkt entfernen. Den Schnittpunkt beider Achsen, den sogenannten Nullpunkt, definiere ich als den Ausgang des ICH und die sich ausdehnende Kreisfläche um den ICH-Punkt als das Bewusstsein des ICH. Auf die Kugel projiziert sind X- und Y-Achse, also die Geschlechts- und die Moralachse, keine Geraden mehr, sondern Kreise, die sich auf der Rückseite der Kugel zum 2.mal schneiden. Die Geschlechtsachse wird quasi zur Äquatorlinie auf dem Globus, die Moralachse quasi zum Nullmeridian, der über die beiden Pole läuft. Der Ausgangspunkt des ICH ist auf der beleuchteten Vorderseite der Kugel und zwar dort, wo die Äquatorlinie und der Meridian sich schneiden. Dort habe ich in der graphischen Darstellung das ICH kenntlich gemacht, von dem 4 Pfeile ausgehen, um die Ausdehnung des ICH deutlich zu machen (ich verstehe deshalb gar nicht, warum du zwischen Gott und Teufel und Anima und Animus noch extra hast Linien ziehen müssen, die doch in meiner graphischen Darstellung längst gezogen sind, allerdings projiziert auf die Kugeloberfläche. Hast du mein Kugelbild als zweidimensionales Bild missverstanden? Mein Bild ist als dreidimensionale Darstellung einer durchsichtigen Kugel zu verstehen, die die Geschlechts- und die Moralachse sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite der Kugel graphisch darstellen will).

Warum soll ich die Geschlechtsachse nicht als X-Achse definieren dürfen, als Ordinate, die ich mit einer anderen Ordinate, der Moralachse, in Beziehung setzen will? Jede skalare Dimension lässt sich mit einer anderen durch das sogenannte cartesische Koordinatenkreuz in Bezug setzen, auch solche skalare Dimensionen, an die Descartes noch gar nicht gedacht hat und damit nach-cartesischen Ursprungs sind. Die Jungschen Begriffe Anima und Animus sind genauso wie die Freudschen Begriffe vom Es und Überich  nachcartesischen Ursprungs, sind aber im cartesischen Sinne res cogitans und keine res extensa (der lateinische Begriff res cogitans wird unflektiert in den deutschen Sprachgebrauch eingedeutscht. Ich spreche deshalb von den res cogitans und nicht von den rebus cogitantibus. Die sind mir wenigstens noch nie begegnet. Es kann aber sein, dass ich hier völlig falsch liege).

Nachtrag

Nun sind weder Gott und Teufel noch Animus und Anima an sich skalare Größen. Wenn ich sie dennoch als Limeswerte zweier skalarer Dimensionen am Kreisrand des Bewusstseins verorte, so, um die zeitliche und kulturelle Entwicklung vom Nullpunkt des Bewusstseins bis zu seiner größtmöglichen Ausdehnung zum Ausdruck zu bringen. Am Anfang der Bewusstseinsentwicklung liegen Gott und Teufel sowie Animus und Anima noch sehr dicht beieinander und haben sich noch gar nicht voneinander getrennt. Dieser Bewusstseinszustand muss für alle vorpatriarchalischen Kulturen angenommen werden und lässt sich in den Mythen der Völker noch nachweisen. Die Trennung von Gott und Teufel und von Animus und Anima ist ein relativ junges Ereignis und charakterisiert das Wesen patriarchalischer Gesellschaften. In den Naturreligionen hat sich das Böse noch nicht vom Guten getrennt Im Monotheismus dagegen wird das Gute zum Gegenpol des Bösen. Moralachse und Geschlechtsachse sind also in zeitlich historischer Sicht durchaus als skalare Dimensionen auffassbar. Ich betrachte sie allerdings über die quantitative Skalierung hinaus aus der Perspektive ihrer qualitativen Entwicklung von der Ungetrenntheit bis zur extremsten Differenzierung. Es ist ja nicht so, dass der Grad der Differenzierung nur quantitativ wächst, je mehr der Bewusstseinskreis auf der Kugeloberfläche des Selbst wächst und die vier Pole sich voneinander wegbewegen. Die Pole ändern sich auch qualitativ. Gott, Teufel, Animus und Anima sind nur die vier Attraktoren des entwickelten patriarchalischen Bewusstseins. Im vorpatriarchalischen Bewusstsein geben diese Begriffe noch gar keinen Sinn und tauchen im vorpatriarchalischen Bewusstsein noch gar nicht auf.