Harald von Rappard

Zur Unterscheidung von gut und böse

Bei der Kritik des manichäischen Weltbildes, das die Welt in gut und böse einteilt, wird richtiger Weise immer das Argument der simplifizierenden Vereinfachung vorgebracht. Die Welt sei eben viel komplexer und die Wirklichkeit sei die der Zwischentöne. Nur in der Literatur, insbesondere der Trivialliteratur, gäbe es noch die Guten und die Schurken. Im grauen Alltag dagegen seien alle Katzen grau.

Die Kritik ist richtig und falsch zugleich. Falsch ist das Bild der Vermischung von gut und böse. Der wirkliche Mensch ist nicht nur ein bisschen gut und ein bisschen böse, genauso wenig, wie die Frau nur ein bisschen schwanger ist. Gut und böse gehen auch in der Wirklichkeit nicht ineinander über. Sie bleiben in scharfer Opposition von einander getrennt. Was sich allerdings ändert, ist die inhaltliche Bestimmung von dem, was gut und böse ist.

Zur Erinnerung: Im Kohlberg-Habermas-Schema haben wir sieben Stufen der Moralentwicklung kennen gelernt. Das Gute und Böse wird auf jeder Stufe neu und anders definiert.

1.Stufe der vorkonventionellen Moral:gut ist hier alles, was mir nützt und böse alles, was mir schadet.
2.Stufe der vorkonventionellen Moral:gut ist, was zwei Leuten gegenseitig nützt, schlecht ist, was nur einem nützt.
3.Stufe der konventionellen Moral:gut ist, was der Gruppe nützt, schlecht ist, was der Gruppe schadet.
4.Stufe der konventionellen Moral:gut ist, was dem Staat/Volk nützt, schlecht ist, was dem Staat/Volk schadet.
5.Stufe der nachkonventionellen Moral:gut ist, was die Mehrheit vereinbart hat, schlecht ist, wer gegen die Vereinbarung verstößt.
6.Stufe der nachkonventionellen Moral:gut ist, wer nach dem kategorischen Imperativ handelt und damit moralisch, schlecht ist, wer die Menschen zu bloßen Mitteln missbraucht und damit unmoralisch handelt.
7.Stufe der nachkonventionellen Moral:gut ist, wenn das moralisch Richtige im herrschaftsfreien Diskurs von allen Betroffenen festgelegt wird, schlecht ist, wer Gutes tun will, ohne auf die Folgen der moralischen Handlung zu achten.


Die scheinbare Unschärfe zwischen gut und böse/schlecht kommt in der Wirklichkeit nur dadurch zustande, dass die Moralpositionen aller Menschen von unterschiedlichen Moralstufen aus formuliert sind.

Auf der transzendentalen Ebene der sechsten Stufe des Kohlberg-Habermas-Schemas(KHS) verschwindet also nicht die Unterscheidung zwischen gut und böse. W.Bush und O.bin Laden verstoßen gegen den kategorischen Imperativ und handeln - aus der Perspektive einer universalistischen Moral betrachtet - binnenmoralisch und damit unmoralisch.

Auf der transzendentalen Ebene der siebten Stufe des KHS ist das moralisch Richtige oder moralisch Falsche von der Verantwortungsethik her zu bestimmen. Das, was aus einer universalistischen Moral richtig ist, kann aus verantwortungsethischer Position falsch sein. Die Verantwortungsethik muss allerdings auf die Universalmoral bezogen bleiben. Die verantwortungsethische Handlung mag zwar der gesinnungsethischen Universalmoral widersprechen, aber die bedachten Folgen der moralischen Handlung müssen langfristig mit den Prinzipien der Universalmoral übereinstimmen. Ein Krieg gegen den Terrorismus kann auf der gesinnungsethischen Stufe der Universalmoral nicht geführt werden. Begründung: jeder Krieg verstößt auf fundamentale Weise gegen den kategorischen Imperativ. Vor allem kann die sechste Stufe der Moral nicht durch Gewalt, sondern nur durch die Einsicht des Menschen erreicht werden. Der Pazifismus argumentiert von dieser Stufe aus und hat sich hier verortet.

Wenn allerdings die Universalmoral durch eine Binnenmoral angegriffen und zerstört werden sollte, so stellt sich doch die verantwortungsethische Frage, ob die Gültigkeit der Universalmoral durch Gewalt beseitigt werden darf und ob die angreifende Gewalt nicht mit Gewalt beseitigt werden muss, wenn sie durch Argumente nicht überzeugt werden kann. Muss der Krieg gegen den Terrorismus nicht aus verantwortungsethischer Sicht geführt werden? Und musste der Krieg gegen den Hitler-Faschismus nicht geführt werden, auch wenn klar war, dass mit der Option Krieg Menschenrechtsverletzungen nicht mehr zu vermeiden waren?

Ein Krieg kann also durchaus aus verantwortungsethischen Gründen gerechtfertigt werden. Das bedeutet aber, dass man die Folgen des Krieges politisch durchkalkuliert. Wenn die Folge des Krieges die Beseitigung der Universalmoral, die Beseitigung der Demokratie etc. im eigenen Land ist, dann darf der Krieg sicherlich nicht geführt werden. Ebenso wenig darf die Vergeltungsmoral zur Rechtfertigung des Krieges herangezogen werden.

Der Pazifist der 6.Stufe wird zum Bellizisten, wenn er von der 7. Stufe aus argumentiert. Das Problem nur ist, dass er seine Position nicht im Diskurs mit den Betroffenen gewinnt, sondern aus der apriorischen Gewissheit, die moralisch bessere Position gegen den Angreifer zu verteidigen. In Verteidigung der Universalmoral fällt er automatisch in die Binnenmoral zurück und in der Ausgrenzung der Pazifisten aus dem moralischen Diskurs setzt er seinen gesinnungsethischen Feldzug der 6. Stufe weiter fort.

Hier haben wir in nuce das ganze Dilemma der GRÜNEN vor uns: die pazifistische Partei, die sich zur bellizistischen Partei mausert und in der Verantwortungsethik ihre Gesinnungsethik weiter fortsetzt und gleichzeitig denunziert.

Das Nichtzustandekommen des moralischen Diskurses, den die 7. Moralstufe fordert, zeigt deutlich, dass das Terrorismusproblem gar nicht auf der moralischen Ebene angesiedelt ist und auf moralische Weise auch gar nicht gelöst werden kann. Die transzendentalen Bedingungen des Terrorismus sind jenseits der Moral- und damit Bewusstseinsebene in den ökonomischen Verhältnissen auf dem Globus verankert. Die Bedingungen des Terrorismus werden erst sichtbar, wenn die Moralebene überschritten wird und der ökonomische Unterbau ins Blickfeld gerät(Dazu das Papier zur Transzendentalperspektive zum Problem des clash of civilisations).