Harald von Rappard

Traktat über den Unsinn der feministischen Grammatik

Handreichung an die Frauenbeauftragte des Bundestages
Frau Inge Gerstberger
November 1998


"In unserer Sprache zeigt sich unsere Lebensform" und "Eine veränderte Lebensform drückt sich in einer veränderten Sprache aus". Zwei Aussagen, die ich für richtig halte. Aber warum dann mein Einwand gegen den feministischen Versuch unser patriarchalisches Sprachverhalten zu ändern?

Wenn es denn richtig ist, daß sich das Patriarchat in unserer Sprache ausdrückt, dann sollte es doch legitim sein, wenn im Kampf um eine nicht-patriarchalische Lebensform dieser patriarchalischen Sprache der Kampf angesagt wird.

Sicherlich ist mein Einwand gegen Wortungetüme wie LehrerInnenzimmer auch ästhetischer Natur, aber nicht nur. Patriarchalische Gesinnung, die mit der Sprache transportiert wird, und patriarchalische Struktur unserer Sprache sind nicht dasselbe. Die patriarchalische Gesinnung ebenso wie die gegen-patriarchalische Gesinnung lassen sich in unserer Sprache formulieren, die patriarchalische Struktur unserer Sprache dagegen nicht: Sie zeigt sich in unserer Sprache, ohne daß sie selbst damit gemeint oder ausgedrückt wird. Sie gewinnt erst Profil vor einer anderen Sprache, die nicht die unsrige ist.

In unserer Sprache können wir aus unserer patriarchalischen Struktur gar nicht heraus. So reproduziert der Feminismus die Dominanz des Männlichen in unserer Sprache immer wieder aufs neue, wenn er auf die Hinzufügung der weiblichen Endung an die männliche Form besteht. In unserer Sprache ist und bleibt die Frau nur ein Anhängsel an der männlichen Form. Und es ist grotesk, daß gerade der Feminismus auf dieser patriarchalen Grammatik besteht.

Der Feminismus also reproduziert die patriarchalische Grammatik unserer Sprache, statt sie zu transzendieren. Das ist mein erster Einwand gegen die feministische Grammatik.

Mein zweiter Einwand ist, daß eine veränderte Sprechweise die patriarchalische Struktur der Gesellschaft nicht zu verändern vermag, noch nicht einmal die patriarchale Gesinnung. Kein Schulleiter in diesem Land, der es heute noch wagt von Kollegen zu sprechen, wenn gleichzeitig auch noch die Kolleginnen angesprochen werden sollen! Aber von flacherer Hierarchie kaum eine Spur im Schulleben! Unsere alten Hierarchen befleißigen sich des neuen In-nigen Stils bis zur grotesken Stilblüte des LehrerInnenausflugs, der TeilnehmerInnenbedingungen etc, ohne auch nur einen Deut die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern voranzutreiben. Die feministische Grammatik wird hier zur Ideologe im ursprünglichen Sinn: zur Verschleierung realer patriarchaler Machtverhältnisse.

Das Mißverständnis der feministischen Grammatiker beruht auf einem fundamentalen Unverständnis von der Funktionsweise der Sprache, auf das schon Wittgenstein aufmerksam gemacht hat: die Bedeutung eines Wortes ist nicht der durch das Wort bezeichnete Gegenstand. Die Bedeutung des Wortes "Mann" ist nicht der Mann, das maskuline Wesen, sondern sein Gebrauch in der Sprache, und der Gebrauch des Wortes "Mann" zeigt, das mitunter sogar eine Frau gemeint sein kann("alle Mann an Deck"). Die Bedeutung des Wortes "herrschen" wird nicht durch seinen etymologischen Bezug zu Herr bestimmt, sondern auch hier nur durch seinen Gebrauch in einem bestimmten Kontext. In den Sätzen "es herrscht schönes Wetter" und "Diese Frau kann gut ihre Gefühle beherrschen" spielt der Bezug zu Herr keine semantische Rolle mehr.

So ist die Bedeutung des Wortes "Lehrer" nicht, wie die Feministen glauben, der biologische Mann, der eine Lehrtätigkeit ausübt. In den überwiegenden Fällen wird "Lehrer" als geschlechtsneutrale Berufsbezeichnung verwendet, in einigen Fällen sogar völlig losgelöst von einer Person("Das Leben ist der beste Lehrer"). Ebenso zeigt eine genauere Bedeutungsanalyse von "Lehrerin", daß das grammatisch weibliche Geschlecht nicht a priori auf ein biologisch weibliches Geschlecht hinweist. Deutlich erkennbar in dem Satz: "Die Natur ist die beste Lehrerin". Der feministische Kurzschluß, vom grammatischen Geschlecht auf das biologische zu schließen, beruht auf jener primitiven Bedeutungstheorie, die Wittgenstein schon bei Augustinus kritisierte: die Wörter der Sprache fungieren hier als Namenstäfelchen für die durch sie bezeichneten Gegenstände/Personen.

Ginge es nach den feministischen Reformatoren, wäre das Wort "Lehrer" gegen den üblichen Sprachgebrauch nur noch auf den männlichen Lehrer zu beziehen. Die Berufsbezeichnung für die weiblichen Lehrer wäre dann nur noch die "Lehrerin".

Die Frage muß erlaubt sein, ob diese Abweichung vom Sprachgebrauch wirklich sinnvoll ist. Soll der Lehrer fortan über sein Geschlecht seinen Beruf definieren müssen? Soll der Lehrerin die Möglichkeit genommen werden, ihre Lehrerrolle jenseits ihres Geschlechts zu definieren? Soll es fortan keinen Sinn mehr ergeben, wenn eine Frau sagt: "Ich bin primär Lehrer und keine Frau"? Und warum sollte ein feministisch eingestellter Mann nicht mehr sagen können: "Ich will euch heute eine Lehrerin sein"? Selbst der Satz einer Feministin: "Ich bin Lehrerin und kein Lehrer!" würde dann seine antipatriarchalische Bedeutung verlieren und eine bloße Tautologie sein.

Der feministische Sprachgebrauch führt nicht nur zur Verarmung semantischer Ausdrucksmöglichkeiten, die der übliche Sprachgebrauch noch bietet. Er ist unsinnig und tritt darüber hinaus in den Widerspruch zum emanzipatorischen Ansatz des Feminismus. Wenn nämlich die Rollenerwartung an die Lehrperson unabhängig von ihrem Geschlecht ein und dieselbe ist, ist die Unterscheidung zwischen Lehrer- und Lehrerinrolle unsinnig. Oder will der Feminismus etwa behaupten, die gesellschaftlichen Anforderungen an die Lehrerin seien prinzipiell anderer Natur als die an den Lehrer? Zugegeben: eine Frau mag die Lehrerrolle anders ausfüllen als ein Mann. Aber dieser Unterschied definiert nur eine mögliche geschlechtsspezifische Rollendistanz zur Rolle und nicht diese Rolle selbst, so wie jedes Individuum seine gesellschaftliche Rolle in spezifisch eigener Weise ausfüllt. Seine Rollendistanz definiert erst seine Ich-Identität. Es gibt nicht zwei identische Lehrer/innen. M.a.W. das Geschlechtsmerkmal gehört zur Identität der Persönlichkeit und ist kein Rollenattribut. Das dürfte zumindest dem Feminismus einsichtig sein, der für die Gleichberechtigung der Geschlechter und gegen die Aufteilung der Geschlechter in Rollen kämpfen will.

Ich begreife nicht, wie das ausdrückliche Bestehen auf der grammatischen Trennung der Geschlechter dem Emanzipationsgedanken dienlich sein soll, zumal sie im Widerspruch zum philosophischen Ansatz des Feminismus steht. Gerade die Differenzierung des Menschen in zwei polare Geschlechter ist Ausdruck eines patriarchalischen Interesses, das sich in einer patriarchalen Sprachstruktur zeigt. Nur in der sprachlichen Trennung der Geschlechter kann sich der Mann gegen die Frau setzen und behaupten und seine biologische Inferiorität aufheben. "Unterscheiden" und "Trennen" sind das erkenntnisleitende Interesse des zutiefst männlichen Bewußtseins, das analytische Denken seine sogenannte Stärke. "Zusammenbinden" und das harmonische Aufheben von Diskrepanzen zeichnen eher den ganzheitlichen Charakter aus, der im erkenntnisleitenden Interesse der Frau liegt. Wenn heute im Gegenentwurf zum borniert analytischen Denken des Mannes ein ganzheitlich denkender Mensch gefordert wird, so ist das Bestehen der Feministen auf der grammatischen Trennung der Geschlechter im Sprachgebrauch nur auf ein zutiefst patriarchalisches Denkmuster zurückzuführen. Die feministische Grammatik ist als patriarchalische Entgleisung zu kritisieren.

Selbst wer diesem philosophischen Gedanken nicht folgen will, sollte sich die Frage stellen, warum in Sprachen, in denen die Geschlechtertrennung noch viel konsequenter als im Deutschen durchgeführt wird, die politische Emanzipationsbewegung keineswegs entwickelter ist.

Patriarchalische Gesellschaften halten wenigstens nicht nur sprachlich, sondern auch politisch daran fest, daß Männer und Frauen in streng getrennten Sphären ihr Dasein fristen.

Ich frage mich, welcher Mannsteufel die Feministen reitet, auf der Geschlechtertrennung zu bestehen, wo doch das Ziel der emanzipatorischen Bemühungen die Zurücknahme aller gesellschaftlichen Unterschiede ist. Es bleibt mir schleierhaft, wieso in der jovialen Floskel des Patriarchen "meine Damen und Herren", die unser neuer Kanzler nach jedem dritten Satz einflicht, der gleichberechtigte Status zwischen Mann und Frau zum Ausdruck kommt. Es bleibt ein Geheimnis der Frauenbewegung, warum ausgerechnet die höfische Höflichkeit des Absolutismus, neben den Herren auch die Frauen zu titulieren, warum gerade diese barocke Galanterie zum Eckpfeiler weiblicher Selbstbehauptung gemacht wird.

CONCLUSIO: Die feministische Grammatikreform führt weder zur Präzisierung unserer Sprache, noch zur erhofften emanzipatorischen Wirkung. Im Gegenteil: sie führt zu einer Verarmung semantischer Ausdrucksmöglichkeiten und zur Verschleierung nach wie vor existierender patriarchalischer Machtverhältnisse. Die feministische Sprachreform - das ist meine These - ist kontraproduktiv zu ihrem emanzipatorischen Ansatz. Das Gutgemeinte ist - wie so oft - das Gegenteil von gut.