Harald von Rappard

Die Semantik des Brunnenvergifters

der Kampf der CDU/CSU um die Lufthoheit über den deutschen Stammtischen

Wem es gelingt die Semantik des politischen Schlagworte zu bestimmen, wird auch die politische Herrschaft im Staat erringen. Das wußte schon Kurt Biedenkopf, als er noch Oppositionsführer im nordrhein-westfälischen Landtag war. Ein Lehrstück zur Illustration dieser Aussage liefert uns die CDU/CSU in ihrer Empörung über die angebliche Entgleisung des Grünen- Ministers Jürgen Trittin über die Person des CDU-Generalsekretärs Laurenz Meyer.

Laurenz Meyer hatte in seiner bekannten Art, den politischen Gegner möglichst unter der Gürtellinie zu treffen, den Grünen in ihrem Begehren, das geltende Asylrecht zu ändern, ein gebrochenes Verhältnis zum deutschen Vaterland bescheinigen wollen. "Ich dagegen", so Meyer, "bin stolz ein Deutscher zu sein". Trittin konterte: wer einen solchen Satz formuliert, beweise nur, daß er die Mentalität eines Skinheads habe.

Die CDU/CSU ist empört. Sie fordert den Rücktritt des Ministers und unterstellt Trittin ein gebrochenes Verhältnis zur Demokratie ( so der CDU Fraktionsvorsitzende Merz im Bundestag). Wie ist die Replik Trittins zu werten? Keilt Trittin unter die Gürtellinie nur zurück, ist der Gegenangriff noch unfairer als der unfaire Angriff? Wird erst hier die Grenze des politischen Schlagabtausches zur Beleidigung überschritten? Oder beschreibt nicht umgekehrt Trittins Replik nur die ungeschminkte Wahrheit und ein zutiefst deutsch-nationales Weltbild des CDU-Generalsekretärs, das im eklatanten Widerspruch zur Humanität des Christentums und der universalistischen Moral der Aufklärung steht?

Darf ein Deutscher nach Auschwitz noch unkritisiert sagen können, er sei stolz ein Deutscher zu sein? Wie soll der Deutsche auf sein Volk der Dichter und Denker stolz sein können, wenn es sich gleichzeitig zu den ungeheuerlichsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit hat hinreißen lassen? Wer auf die großen Leistungen seines Volkes stolz sein will, der wird sich auch für die Untaten seines Volkes schämen müssen. Wer sich aber für die Untaten seines Volkes nicht schämen will, der hat auch das Recht verwirkt, auf sein Volk stolz zu sein. Nationalstolz ist ohne National-Scham nicht zu haben.

Wie bitte? Lautet jetzt der übliche Einwand. Die Engländer, die Franzosen, die Spanier - alle Völker dieser Erde dürfen auf ihr Volk stolz sein! Nur wir Deutsche nicht? Muß ich mich als Deutscher schämen ein Deutscher zu sein?

Wer so fragt, übersieht, daß diese Fragen nur Sinn haben in einer völkischen Grammatik. Wer sich nicht mit seinem Volk identifiziert, sich stattdessen wie Goethe als Welt-Bürger begreift, der ist weder stolz auf sein Volk noch schämt er sich seines Volkes. Erst wer sich mit seinem Volk identifizieren will, kommt nicht drum herum, auch die negativen Taten seines Volkes in Augenschein zu nehmen. Aber genau das will derjenige nicht, der sagt, er sei stolz ein Deutscher zu sein. Er will ja gerade zum Ausdruck bringen, daß er sich nicht mehr schämen will, ein Deutscher zu sein. Er will gerade nicht mehr ständig mit der negativen Vergangenheit seines Volkes konfrontiert werden. Er will endlich seinen Nationalstolz auf sein Volk mit derselben Selbstverständlichkeit ausüben können, wie die Menschen anderer Völker. Endlich das Büßerhemd ausziehen dürfen und angekommen sein im Reigen gleichberechtigter Völker - so lautet die Parole der konservativen Restauration.

Was sollte an dieser Devise so falsch sein? Zweifellos trifft sie die Grundstimmung der Mehrheit des deutschen Volkes.

Gerade in dieser Tatsache liegt eine reale Gefahr. Sollte sich nämlich die Mehrheit des Volkes in den Begriffen von Demokratie und Patriotismus wiederfinden, die ihnen die Konservativen anbieten, dann vollzieht sich im geltenden Verständnis von Demokratie ein Paradigmenwechsel. Die nachkonventionelle Moral der demokratischen Gesellschaft mutiert dann zur völkischen Binnenmoral, die jeden Ausländer als Nichtdeutschen ausgrenzt.

Der Begriff von Demokratie, der in unserer Verfassung zum Ausdruck kommt, fällt gerade nicht mit dem landläufigen Vorurteil zusammen, nach dem die Demokratie die Herrschaft der Mehrheit ist und in der Demokratie das herrscht, was die Mehrheit denkt. Die Grundrechte z. B. stehen nicht mehr zur Disposition und können durch keine Mehrheit abgeschafft werden. Das ist mit gutem Grund so. Denn nicht alles, was die Mehrheit will, ist schon vernünftig. Wäre die Mehrheit das alleinige Kriterium unseres Demokratieverständnisses, wäre das verfassungsrechtliche Verbot der Todesstrafe sicherlich schon längst wieder aufgehoben.

Aber warum sollte der Nationalstolz des Deutschen verwerflicher sein als der des Franzosen, Engländers, Amerikaners etc. auf ihr Volk?

Hierauf gibt es nur eine richtige Antwort: kein Mensch ist berechtigt, sich ausschließlich positiv auf seine Volkszugehörigkeit zu beziehen, wenn er um die Verbrechen weiß, die sein Volk begangen hat. Kein Franzose, der die Rolle der Franzosen kennt, die sie zum Beispiel in Algerien gespielt haben, ist noch berechtigt zu sagen, er sei stolz ein Franzose zu sein. Kein Engländer darf noch stolz sein, ein Engländer zu seinen, wenn er das Ausmaß der kolonialen Ausbeutung begreift, die ihn zu einem reichen Mann gemacht haben. Kein Amerikaner könnte noch stolz sein auf sein Land, wenn er die mörderische Politik durchschauen würde, die sein Land beim Sturz unliebsamer ausländischer Regierungen gemacht hat. Wie soll der Amerikaner auf sich stolz sein, wenn er seinen Ausrottungsfeldzug gegen die Indianer vergegenwärtigt? Auch der stolzeste Spanier kann sich nur noch schämen, wenn er an seine Konquistadoren denkt, die die Hochkultur der Mayas und Inkas vernichteten.

Kein Mensch ist berechtigt zum Nationalstolz, wenn er um die Verbrechen seines Volkes weiß. Genau das unterscheidet den neuen deutschen Patriotismus von den der anderen Völker. Der Deutsche weiß um die Verbrechen seiner Vergangenheit und will in seinem Patriotismus nicht mehr an sie denken.

Die Engländer, Franzosen, Amerikaner etc. sind patriotisch, weil sie die Verbrechen ihrer Völker nicht vergegenwärtigen, sie gar nicht erst wahrnehmen. Ihr ungebrochenes Verhältnis zu ihrem Volk ist schlimmstenfalls unkritisch und naiv. Wer ein unkritisches, naives Verhältnis zu seinem Volk hat, ist patriotisch, ohne diesen Patriotismus selbst noch unter Beweis stellen zu müssen. Für ihn ist der Patriotismus selbstverständlich.

Der neudeutsche Patriotismus dagegen ist heuchlerisch und zutiefst verlogen und in seiner Funktion ideologisch verschleiernd. Er ist antiaufklärerisch und reaktionär. Er will das Verbrechen verschleiern und marginalisieren. Vor allem will er die kritische Distanz zum eigenen Volk, die ideologiekritische Position des aufgeklärten Bewußtseins diffamieren. Er bewältigt nicht die Vergangenheit, sondern verdrängt sie. Und er muß sich plakativ zeigen, wenn er verdrängen will.

Der Deutschnationale kann sein affirmatives Verhältnis zum Volk nur durch Bewußtseinsabspaltung und Verdrängung des Negativen aufrechterhalten. Daß er in der Abspaltung der Vergangenheit derselben völkischen Grammatik folgt, die im Dritten Reich zu Abspaltung der Juden geführt hat und heute zur Ausgrenzung der Ausländer, ist ihm nicht mehr bewußt.

Eines sollte man sich klar vor Augen halten: die Skinheads und die CDU Führung folgen der selben völkischen Grammatik. Diese Tatsache ist keineswegs so harmlos wie die Beleidigung im politischen Schlagabtausch. Wenn die Skinheaeds in ihrer Tumbheit und Beschränktheit der völkischen Grammatik aufsitzen, so ist das eines. Wenn sich dagegen eine demokratische Volkspartei wie die CDU die völkische Grammatik zu eigen macht, dann ist das nicht nur ein Skandal, sondern ein Anschlag auf die bundesrepublikanische Demokratie, die sich bisher einer universalistischen Moral verpflichtet gefühlt hat. In der völkischen Grammatik fällt die CDU/CSU auf die konventionelle Stufe einer Binnenmoral zurück. Selbst wenn diese Regression nur aus wahlstrategischen Gründen erfolgt, um rechte Wählerschichten an sich zu binden, so erfolgt hier eine Begriffsverschiebung in der politischen Semantik, die die Republik verändert, wenn sich die CDU in ihren Definitionen durchsetzen würde.

Wie die Begriffsverschiebung aussehen wird, hat die CDU/CSU uns angekündigt. Demokratisch ist nur noch das, was in den binnenmoralischen Kreis des Patriotischen passt. Die universalistische Moral der Grünen wird als unpatriotisch oder gar als Verrat am Vaterland abgewertet. Eine Kritik an der völkischen Moral wird nicht mehr zugelassen.

Entlarvend und signifikant ist hier die Kritik der CSU am Bundespräsidenten, der sich Meyers Aussage: ich bin stolz ein Deutscher zu sein, nicht zu eigen machen will. "Unpatriotisches Verhalten" empört sich die CSU und bläst zur patriotischen Hatz.

Die idiotische Beschränktheit der CDU/CSU Attacke auf Trittin und den Bundespräsidenten hätte als Lachnummer oder als Verzweiflungstat einer Skandal erschütterten Partei abgehakt werden können, wenn nicht die Katastrophe eingetreten wäre: die unglaublich dillettantische Reaktion von Regierung und Staatsspitze. Trittin entschuldigt sich. Bundeskanzler Schröder erklärt seinen Minister zum Risiko der Koalition. Der Bundespräsident Rau rudert zurück. Zwar will Rau immer noch nicht stolz sein ein Deutscher zu sein, weil der Nationalstolz die anderen Nationen abwerte. Stattdessen ist er nun froh ein Deutscher zu sein und kommt in die Bredouille erklären zu müssen, warum er froh ist ein Deutscher zu sein und kein Jude, kein Franzose, kein Engländer. Die Abwertung der Völker, der Rau entgehen will, hat er jetzt durch das Bedauern anderer Völker ersetzt, was die Sachlage nur noch verschlimmbessert.

Statt den Attentatsversuch der CDU/CSU auf die Demokratie als das zu charakterisieren, was er ist: als Angriff auf unsere Verfassung und Grundrechte, die immerhin noch einer universalistischen Moral verpflichtet sind, knickt die Regierung samt Bundespräsident schmählich ein, gerät in die Defensive, und überläßt die Definition der politischen Schlagworte der Opposition.

Wer an der semantischen Front versagt, der verliert auch die politische Macht. Die CDU/CSU hat die semantische Schlacht gewonnen. Die Demokratie dagegen, die in der Tradition der Aufklärung steht, hat die Schlacht verloren - vorerst wenigstens.