Harald von Rappard

Antwort auf meine Kritiker

Zur Unterscheidung von entfremdeter und nichtentfremdeter Arbeit

Meine analyse (in: die große Lüge) findet kaum widerspruch. Skeptisch dagegen beurteilt man meinen therapievorschlag, was die etablierung eines staatssektors nichtentfremdeter arbeit angeht.

Einige kritiker bezweifeln, dass der staatliche arbeitssektor genügend nichtentfremdetete arbeit gerade für jene anbieten kann, die kaum oder wenig qualifiziert oder qualifizierbar sind.

Meine prämisse, dass sinnvolle tätigkeit glücklicher macht als die höhe der entlohnung, findet nicht ungeteilte zustimmung. Die höhe der entlohnung sei und bleibe das entscheidende kriterium für den arbeitenden, so dass der staatsbesoldete immer neidisch auf den mehrverdiener im privatsektor sein wird.

Andere kritiker sehen das problem eher umgekehrt darin, dass die leistungsträger im privatsektor es sich kaum gefallen lassen werden, wenn sie als milchkuh für die glücklich arbeitenden staatsdiener dienen sollen.

Die dritte gruppe meint, das marxistische paradigma der entfremdung und die aufteilung der arbeit in entfremdete und nichtentfremdete arbeit sei selbst obsolet und werde im subjektiven bewusstsein der arbeitenden gar nicht wahrgenommen und wenn, dann nicht im sinne marxistischer kriterien. So fühlen sich viele lehrer im staatsdienst nur noch als von sich selbst entfremdete, während der leitende angestellte in seiner tätigkeit im privatsektor durchaus befriedigung erfährt, obwohl sie ihm nicht mehr gehört und sie ihm nach Marx entfremdet worden ist. Im übrigen sei die erlebte entfremdung beim bahn- und postarbeiter im staatsbetrieb nicht anders als im privatbetrieb.



Zweifellos hängt der identifikationsgrad mit der arbeit von der qualifikation und qualität der arbeit und vor allem von deren erfolg ab und ist nicht abhängig davon, ob jemand im staatsdienst oder im privatsektor arbeitet. Es geht indes nicht um den lust- oder spaßfaktor an der arbeit, die im privatsektor durchaus hoch sein kann und im staatsdienst mitunter sehr niedrig.

Nichtentfremdete arbeit ist die tätigkeit, die der mensch vollständig durch die vernunft bestimmen kann und damit selbstbestimmte tätigkeit ist (was sehr anstrengend sein kann). Entfremdete arbeit dagegen ist fremdbestimmte tätigkeit, die der markt erzwingt, der gerade nicht nach den kriterien der vernunft, sondern nach denen der profitabilität organisiert wird.

Als erfolgreiche arbeit ist entfremdete arbeit durchaus an den lustfaktor gekoppelt, der mitunter bei der nichtentfremdeten arbeit fehlt. So korrigieren die wenigsten lehrer die schülerklausuren mit vergnügen. Zur korrektur zwingt sie die einsicht in deren notwendigkeit.

Dennoch ist daran festzuhalten, dass nichtentfremdete selbstbestimmte arbeit a priori zu einem hohen identifikationsgrad mit der arbeit führen muss. Wenn der lehrer trotzdem seine arbeit als fremdbestimmt erlebt, so nur deshalb, weil sie es dann auch ist, dann z.b, wenn er anforderungen erfüllen muss, die er nicht leisten kann, oder die er gegen seine einsicht erfüllen muss.

Die empirische tatsache, dass jemand im staatssektor arbeitet, garantiert noch nicht den status nichtentfremdeter arbeit. Der staatliche arbeitssektor muss so umorganisiert werden, dass jeder, der dort arbeitet, eine selbstbestimmte und selbständige rolle findet. Klar ist, dass nicht jeder geeignet ist, jede rolle zu übernehmen. Wer wie mancher lehrer eine rolle übernimmt, deren rollenerwartungen er nicht erfüllen kann, dem hilft auch nicht mehr die gute besoldung. Er wird unglücklich und erkrankt an und in seinem beruf.

Ebensowenig ist der post- und bahnarbeiter schon dadurch glücklicher, dass er im unterschied zur privatwirtschaft im geschützten raum des beamtentums einen sicheren arbeitsplatz gefunden hat, was zweifellos beruhigend ist. Glücklich wird er erst, wenn er sich in seinem tätigkeitsfeld auch verwirklichen kann. Das kann er nicht, wenn er in der beamtenhierarchie ständig entmündigt und seine anwesenheit und nicht seine leistung gewürdigt wird.

Zweifellos ist jede hierarchie kontraproduktiv und ineffektiv. Das gebot der stunde ist deshalb, den staatlichen arbeitssektor zu enthierarchisieren und gerade nicht ihn zu privatisieren, was die neoliberale politik vorschlägt.