Ist die idealistische Vernunft immer schon utopisch?

An meine Kritiker, die mir einen idealistischen und deshalb utopischen Staatsentwurf vorwerfen

Möglicherweise können wir uns darauf einigen, dass der neoliberale ansatz der politik zu keiner lösung des arbeitsmarktproblems führt, der staat also in irgendeiner weise initiativ werden muss und sie nicht dem freien spiel des marktes überlassen kann.

Strittig dagegen bleibt sicherlich das herzstück meiner argumentation: die qualitative umwandlung unserer gesellschaft, die nicht mehr allein vom kapitalattraktor bestimmt wird, wenn auch die vernunft zu einem attraktor gemacht werden kann.

Die prämisse meiner argumentation ist die auf Marx zurückgehende these, dass kapital und vernunft einander widersprechen, bzw. dass die instrumentelle vernunft, die mit dem kapital kompatibel ist, der philosophischen vernunft der aufklärung (selbstbestimmung, mündigkeit, autonomie, kathegorischer imperativ Kants) widerspricht.

Wenn ich nun dennoch einen quasi hegelianischen und damit idealistischen staatsbegriff reklamiere, so steht der zweifellos im widerspruch zur marxistischen staatsauffassung, die den staat nur  als instrument der herrschenden klasse zu sehen vermag und die an den schulen und universitäten gelehrte philosophische vernunft zur bloßen ideologie erklärt, weil sie in der wirtschaftlichen praxis keinerlei relevanz hat.

Zweifellos ist dies der fall. In der wirtschaft, die dem gesetz des profits untergeordnet ist, existiert nur die instrumentelle vernunft. Das will ich weder abstreiten noch ändern. Wenn sich allerdings auch der staat ausschließlich der instumentellen vernunft der wirtschaft unterordnet, ist eine humane gesellschaft nicht mehr möglich und ich meine darüber hinaus, dass eine rein darwinistisch organisierte gesellschaft auch ökonomisch zu ihrem untergang führt, eben auch zum untergang der ökonomisch herrschenden klasse.

Je mehr es dagegen dem staat gelingt, sich von der instrumentellen vernunft zu befreien und die philosophische vernunft zum kriterium  seiner tätigkeit zu machen, desto humaner und gleichzeitig stabiler wird die gesellschaft.

Wenn mein gesellschaftsmodell bloß idealistisch wäre, bliebe es utopisch. Es ist aber nicht bloß idealistisch. Es ist auch gleichzeitig im wohlverstandenen interesse aller, auch im interesse der herrschenden klasse. Das manko ist nur, dass die herrschende klasse das nicht sieht und deshalb der staat als ideeller gesamtkapitalist das klasseninteresse der herrschenden gegen ihr klassenbewusstsein durchsetzen muss.

Hier sehe ich das eigentliche problem. Wenn die staatstragende Klasse selbst beginnt, ihren eigenen wertehimmel zu zerstören, an dem sie bislang ideologisch so verbissen festgehalten hat, und sich zum büttel der wirtschaftlichen interessen macht, die die ökonomisch herrschende klasse artikuliert, dann allerdings nimmt sie nicht mehr die funktion des ideellen gesamtkapitalisten wahr. Dann gibt sie sich selbst auf und macht sich selbst überflüssig. Der staat als bloßer handlanger des kapitals kann der gesamtgesellschaft nicht mehr dienen, verliert sehr schnell seine legitimität, seine gesellschaftliche stabilität und damit auch die ökonomische basis, die das kapital zu seiner reproduktion bedarf.

Es mag sein, dass mein staatsmodell utopie bleibt. Die realistische alternative zu meiner utopie ist dann aber die finstere barbarei einer inhumanen gesellschaft, die sich in einem permanenten krieg mit sich selbst zerfleischt. Haben wir denn keine wahl mehr als nur der Barbarei zu folgen? Müssen wir denn wie lemminge der politischen kaste in den untergang folgen?