Die WIN-OR-LOSE-STRATEGIE in der amerikanischen Rechtsprechung und der amerikanischen Außenpolitik

Anmerkungen zum Textverständnis des taz-Artikels: "Killeroppositionen" von Ostendorf

(zur Klausur vom 25.10.01)

Die WIN-OR-LOSE-Strategie, die hier von Ostendorf als eine der Killeroppositionen beklagt wird, bezieht sich erst einmal auf die amerikanische Rechtssprechung, in der es nur Gewinner oder Verlierer vor Gericht gibt. Wer einmal von einer Jury freigesprochen wird, kann nicht wegen desselben Delikts noch einmal angeklagt werden, selbst wenn eine andere Jury ihn bei der selben Beweislage schuldig gesprochen hätte. In den USA ist also bei der Rechtssprechung die Zusammensetzung der Jury ganz wichtig. Ebenso wichtig sind hier die Rechtsanwälte, die alle Verfahrenstricks kennen und dadurch in der Lage sind ihre Mandanten trotz deren Schuld vor der Verurteilung zu bewahren. Einen Prozess in der USA gewinnt in der Regel derjenige, der die besten Anwälte hat und nicht der Unschuldige. Da sich die guten Anwälte nur die Reichen leisten können, gibt es in den amerikanischen Gefängnissen kaum schuldige Reiche, dafür aber häufiger unschuldige Arme. Die WIN-OR-LOSE-Strategie der amerikanischen Rechtssprechung führt also nicht zur Gerechtigkeit, sondern zu einem Klassenrecht der Reichen gegen die Armen.

Diese WIN-OR-LOSE-Strategie, die im amerikanischen Recht so fatale Folgen hat, bildet laut Textaussage auch den Resonanzboden für die amerikanische Außenpolitik mit fatalen Folgen. Wer Gewinner werden will, muss immer einen Gegner haben, der Verlierer sein soll. Zur Zeit des Kalten Krieges, als die Welt noch in zwei feindliche Blöcke zerteilt war, hatte sich diese Denkweise durchaus bewährt. Im kommunistischen Ostblock sah man das "Reich des Bösen" (Präsident Reagan), das niedergerungen werden musste, weil es die westliche Zivilisation bedrohte. Mit dem Zusammenbruch des Ostens sind den Amerikanern die Feinde abhanden gekommen. Mit der einzig übrig gebliebenen Weltmacht USA ist die Welt unipolar geworden. Die WIN-OR-LOSE-Strategie der Amerikaner kommt indes nicht ohne Feindbild aus. Wenn es keinen Gegner mehr gibt, muss er konstruiert werden. Der islamische Fundamentalismus bietet sich gerade zu an, die Nachfolge des kommunistischen Feindbildes anzutreten.

Deshalb hatten amerikanische Kommentatoren den "clash of civilisations" (Huntington), den Kulturkampf des Islamismus gegen die westliche Zivilisation, prophezeit, lange bevor es zum Attentat am 11. Sept. kam. Das Attentat ist damit eine Bestätigung ihrer These, bzw. wird von ihnen als Bestätigung ihrer These aufgefasst. In Wahrheit erfüllt sich ihre Prophezeiung nur vor dem Hintergrund ihres konstruierten Feindbildes und ist deshalb eine "self-fullfilling-prophecy". Nicht der islamische Fundamentalismus hat in New York zugeschlagen, sondern allenfalls - wenn es denn bewiesen werden könnte - eine Gruppe islamischer Fundamentalisten, die die USA als Bedrohung ihrer islamischen Identität sehen und in Amerika ihren Satan und Feind erblicken. Auch deren Feindbild ist primär ein Konstrukt ihrer manichäischen Weltsicht und genau sowenig wie die amerikanische in der Realität begründet ( Die USA unterstützen zwar die reaktionären Regime islamischer Staaten aus Eigeninteresse, aber nicht, um sich in den Islam einzumischen oder gar den Islam zu zerschlagen, wie 0ssama bin Laden unterstellt).

Je mehr allerdings die Amerikaner den islamischen Fundamentalismus mit dem Terrorismus gleichsetzen, was sie bei der Bekämpfung der Taliban in Afghanistan offensichtlich tun, erwächst ihnen im islamischen Fundamentalismus ein wirklicher Gegner und nicht nur ein vermeintlicher. Je mehr die Amerikaner die Taliban besiegen und militärisch siegen, desto antiamerikanischer wird der islamische Fundamentalismus. Die Amerikaner bomben den Kulturkampf erst herbei, den sie befürchten. Damit erfüllt sich nicht ihre Prophezeiung, sondern sie selbst sind es, die die Prophezeiung erst erfüllen ( siehe auch die Fortsetzung dieses Gedankens in meinem Aufsatz: Der amerikanische Kampf gegen den Terrorismus).


Anhang

Bernd Ostendorf: Das System der Killeroppositionen